Veranstaltung: | Kreiswahlprogramm 2021 |
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Antragsteller*in: | Kreisvorstand (dort beschlossen am: 13.03.2021) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 14.04.2021, 20:44 |
Antragshistorie: | Version 1 |
A6NEU5: Soziales
Text
Gleiche Startbedingungen schaffen – Soziale Teilhabe
Es kann teuer werden, sich unseren Sozialstaat nicht zu leisten, denn er
garantiert den inneren Frieden. Dennoch ist es um unseren Sozialstaat schlecht
bestellt: In kaum einem Industrieland herrscht eine so hohe Ungleichheit in
Bezug auf Einkommen, Vermögen und Chancen wie in Deutschland – und diese
Ungleichheit nimmt weiter zu.
Wir GRÜNE setzen uns für eine glaubwürdige kommunale Sozialpolitik ein, die
Teilhabe für alle ermöglicht, Armut bekämpft und dazu beiträgt, dass das Zuhause
bezahlbar bleibt. Wir fördern ein gutes Miteinander der Menschen, die schon
länger hier leben und derer, die neu zugewandert sind. Auch vor Ort ist für uns
die tatsächliche Gleichstellung von Frauen wichtig. Nur eine familienfreundliche
Gemeinde ist auch eine zukunftsfähige Gemeinde.
Wir wollen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass im alltäglichen
Zusammenleben die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine
Selbstverständlichkeit ist. Ausreichende und qualitativ gute Kinderbetreuung,
flexible Angebote und familienfreundliche Öffnungszeiten gehören dazu. Gleiche
Bildungschancen für alle und gut ausgestattete Schulen, die eine attraktive
Umgebung für gutes Lernen bieten, haben für uns Priorität.
Auch in der Jugendförderung wollen wir GRÜNE uns stark machen. Wir setzen uns
ein für eine freie, eine weltoffene und vielfältige Gesellschaft und wir stehen
an der Seite der zivilgesellschaftlichen Initiativen im Kampf gegen Rassismus
und rechte Gewalt. Bei der Kommunalwahl 2021 kommt es auch darauf an, dass unser
Landkreis nicht nach rechts abdriftet. Menschenfeindlichkeit und rechte Hetze
haben bei uns nichts zu suchen.
- Wir unterstützen alle zivilgesellschaftlichen Gruppen und Initiativen, die
sich Rassismus, Antisemitismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit
mit friedlichen Mitteln entgegenstellen.
- Wir setzen uns für den Auf- und Ausbau von Anlauf- und Beratungsstellen
für Menschen, die in Not geraten sind, ein. Dazu gehören die Arbeitslosen-
, Obdachlosen-, Schuldner*innen- und Suchtberatung, sowie die
Schwangerenkonfliktberatung, die Beratungsstellen für Menschen, die von
sexualisierter Gewalt betroffen sind, die Beratungsstellen für Familien,
Paare und Alleinerziehende mit Erziehungsproblematiken, das Frauenhaus und
die Beratungs- und Interventionsstelle bei häuslicher Gewalt.
- Die sozialen Einrichtungen unseres Landkreises brauchen für ihre wertvolle
Arbeit eine verlässliche Förderung. Wir setzen uns dafür ein, dass die
kommunalen Mittel bedarfsgerecht ausgeweitet und verlässlich zugewiesen
werden.
- Frauenhäuser substanziell finanziell unterstützen
- Neue und alternative Wohnformen wie das Mehrgenerationenwohnen, Senioren-
WG, Wohnen mit Pflege auch in der Fläche fördern
- Die gesundheitliche Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen
auf den Prüfstand stellen und sie bedarfsgerecht ausbauen.
Gleichberechtigte Teilhabe für alle
Eine inklusive, vielfältige Gesellschaft ist die Voraussetzung für eine
lebendige Demokratie, in der unterschiedliche Lebensentwürfe gleichberechtigt
verwirklicht werden können. Gute politische Entscheidungen werden auf der Basis
unterschiedlicher Perspektiven und Lebensrealitäten getroffen. Wir GRÜNE wollen
eine gleichberechtigte Teilhabe aller Identitäten in der Kommunalpolitik.
Zusammen mit den hier engagierten Vereinen, Verbänden und Initiativen wollen wir
Lücken ermitteln und entsprechend Schritte planen, um das Ziel der
gleichberechtigten Teilhabe zu erreichen.
Gemeinsam arbeiten wir an einem Landkreis, in dem alle Menschen frei von
einschränkenden Rollenbildern leben könne. So lassen vielfältige Vorbilder zur
Entwicklung Raum.
Wir fordern daher konkret:
• Projekte wie das Mentoring-Programm zur gleichberechtigten Teilhabe von allen
Geschlechtern in Politik und Wirtschaft sind weiter auszubauen.
• Es besteht nach wie vor ein Männerüberhang unter den Mandatsträger*innen auf
kommunaler und auf Kreisebene. Als GRÜNE gehen wir mit gutem Beispiel voran und
besetzen unsere Listenplätze quotiert.
• Wir werden uns dafür einsetzen, dass Sitzungszeiten familienfreundlich
angepasst werden und die Teilnahme an Sitzungen auch online möglich ist. Bei der
Besetzung der Ausschüsse sowie bei Entsendungen des Landkreises in externe
Gremien, Organisationen und Institutionen achten wir auf ein ausgewogenes
Verhältnis der Geschlechter, gerade auch in Bezug auf Wirtschafts-, Verkehrs-
und Finanzfragen.
Alles inklusive!
Nicht nur für Geschlechtervielfalt muss noch viel getan werden, auch anderen
Gruppen im Landkreis stehen noch viele Hürden im Weg, die wir abräumen müssen.
Dabei spielt das Thema Barrierefreiheit eine wichtige Rolle. Wir möchten, dass
Menschen mit Handicaps gleichberechtigt am Leben teilhaben können, ob es im
Bereich der Wirtschaft, der Schule, im Kindergarten, in der Freizeit, beim
Einkaufen in der Stadt oder beim Besuch von Ämtern oder Gesundheitseinrichtungen
ist. Wir setzen uns für möglichst viele Arbeitsplätze auf dem ersten
Arbeitsmarkt ein. Inklusive Klassen, inklusive Kindergärten, (Nacht)Taxis für
Menschen mit Handicaps zu flexiblen Zeiten, damit auch mal ein Kinobesuch
möglich ist, das ist unser Ziel. Formulare müssen in leichter Sprache vorhanden,
Erklärvideos und ein Button zum Vorlesen zugänglich sein. Alle
Quartiersentwicklungsmaßnahmen, Neubauten und Sanierungen müssen auf
Barrierefreiheit geplant und überprüft werden, so dass für alle Menschen ein
diskriminierungsfreier Zugang möglich wird. Neue und alternative Wohnformen wie
das Mehrgenerationenwohnen, Wohngemeinschaften und das Wohnen mit Pflege sollen
unseren Landkreis bereichern. Wichtig ist außerdem eine zentrale Anlaufstelle im
Kreishaus, die Förderprogramme auflegt und bei barrierefreien Umbaumaßnahmen
unterstützt.
Die sehr hohe Zahl von Regelungen zu Möglichkeiten und Zuwendungen für Menschen
mit Beeinträchtigungen verhindert den Überblick. Ohne eine unabhängige
Teilhabeberatung sind die Betroffenen Falsch- und Fehlinformationen
ausgeliefert. Deshalb werden wir uns für die Etablierung der ergänzenden und
unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) unbefristet auch über das Jahr 2022 hinaus,
einsetzen.
Integration
Unser Landkreis ist stark von Sekundärmigration geprägt. Besonders nach Hameln
sind viele Iraker/innen gezogen. Um einer Ghettobildung vorzugreifen, bedarf es
vieler kreativer Integrationsangebote. Besonders niederschwellige Sprachangebote
mit Kinderbetreuung und berufsspezifische Angebote sollten ausgebaut und die
Volkshochschule damit beauftragt werden. Auch die Sprachförderung von der
Alltagssprache zur Bildungssprache bedarf einer großen Anstrengung, um dem Ziel
der gleichen Bildungschancen näher zu kommen.
Neben dem Migrationsrat und dem interreligiösen Dialog fördern wir Projekte, die
die Integration besonders der Flüchtlingsfamilien unterstützen. Dabei wollen wir
das schon gut ausgebaute ehrenamtliche Engagement von Bürgerinnen und Bürgern
unterstützen und ausbauen. Es sollen gezielt Programme für Jugendliche
entwickelt werden, die den Kontakt zu deutschen Jugendlichen intensivieren.
Um den Übergang von Weiterbildungsangeboten und Sprachkursen in ein
selbstbestimmtes Arbeitsleben zu erleichtern, werden wir Kooperationen zwischen
ehrenamtlichen und kommunalen Initiativen, Schulen und ortsansässigen
Arbeitergeber*innen initiieren.
Wir wollen an zentralen Punkten im Kreis Anlaufstellen für Menschen einrichten,
an denen niedrigschwellig und ohne Kontrolle im Internet recherchiert,
gearbeitet und auch gedruckt werden kann – und das in der jeweiligen Sprache der
Nutzer*Innen.
Wir wollen Verständnis für die sozialen Gefüge anderer Kulturkreise. Dafür
benötigen wir Fachkräfte, die mit Empathie und kultureller Sensibilität agieren
sowie eine Gesellschaft, die ermöglicht, kultursensible Arbeit zu leisten. Für
diesen Bereich werden wir entsprechende Fortbildungen schaffen, die einheitlich
und verbindlich angeboten werden.
Kinderschutz ernst nehmen
Wenn es in Familien nicht rund läuft, sind häufig die Kinder die Leidtragenden.
Ihre Bedürfnisse geraten durch die Probleme der Eltern aus dem Blick. Sie werden
vernachlässigt, erleben Gewalt oder sind selbst von körperlicher oder seelischer
Gewalt betroffen. In solchen Situationen ist es wichtig, dass es vor Ort
funktionierende Kinderschutzvereinbarungen und Netzwerke aus KiTas, Schulen,
Gesundheitswesen, Polizei, Jugendhilfe und öffentlicher Verwaltung gibt, die die
Kinder besser in den Blick nehmen und die Eltern befähigen, sie zu schützen.
Wenn wir Kinderschutz ernst nehmen, müssen wir uns fragen, welche Netzwerke
Fachkräfte und Ehrenamtliche in unseren Städten und Gemeinden vorfinden, in
denen sie sich bei Verdachtsfällen beraten können, bevor sie den oft
weitreichenden Schritt zum Jugendamt machen. Sie fürchten einen
Vertrauensverlust und das Wegbleiben der Kinder aus ihren Einrichtungen und
Angeboten, wenn bekannt wird, dass sie das Jugendamt involviert haben. Sie
brauchen vor Ort fachliche Ansprechpartner*innen und Beratungsmöglichkeiten, die
neben den individuellen Faktoren auch die sozialräumlichen Ressourcen und
Unterstützungsmöglichkeiten berücksichtigen.
Mit der Initiative „Kein Raum für Missbrauch“ wirbt der Bundesbeauftragte für
Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs aktuell für die Erstellung von
Schutzkonzepten in Schulen, KiTas und Vereinen, in denen Kinder betreut werden.
Dies stellt die Zuständigen vor besondere Herausforderungen, da fachliches Know-
How aufgebaut werden muss, das sich in entsprechenden Netzwerken viel leichter
organisieren lässt, als wenn es jede Einrichtung für sich alleine schaffen muss.
Die gemeinsame Auseinandersetzung und Sensibilisierung für Fragen der sexuellen
Gewalt erhöht zudem die Wahrscheinlichkeit, dass Missbrauchsstrukturen, wie sie
im Fall Lügde zutage getreten sind, schneller erkannt und den Kindern viel Leid
erspart bleiben kann.
Deshalb setzen wir uns für die Regionalisierung der Jugendhilfe in Form von
Jugendhilfestationen in Salzhemmendorf-Coppenbrügge, Aerzen-Emmerthal, Bad
Münder, Hessisch Oldendorf, Bad Pyrmont und Hameln und für die Bildung von
sozialräumlich orientierten und institutionalisierten Kinderschutz-Netzwerken
ein.
Der Fall Lügde hat eindrücklich gezeigt, wie wichtig die Einhaltung der gültigen
Fachstandards sowohl in der Hilfeplanung als auch im Kinderschutz ist bzw.
gewesen wäre . Sie sichern die Qualität der Arbeit im Kinderschutz und
verhindern Verfahrensfehler mit weitreichenden Folgen. Für einen gelingenden
Kinderschutz brauchen wir Führungspersönlichkeiten, die es sich zur Aufgabe
machen, einerseits die Einhaltung geltender Fachstandards einzufordern und zu
kontrollieren aber andererseits ihren Mitarbeiter*innen auch die nötigen
Ermessensspielräume einzuräumen und sie durch Anerkennung, Verbindlichkeit und
Fairness an die Kreisverwaltung zu binden.
Führungskompetenzen werden einem jedoch nicht in die Wiege gelegt. Führung muss
man lernen. Dies ist ein nicht selten schmerzhafter Prozess, der eine hohe
Selbstreflektion abverlangt. Teamleitungen nehmen zudem übergeordnete
organisatorische, vernetzende und vermittelnde Funktionen wahr. Die vielfältigen
Leitungsaufgaben können nur halbherzig wahrgenommen werden, wenn Teamleitungen
weiterhin eigene Fälle bearbeiten.
Deshalb setzen wir uns dafür ein, Teamleitungen von der eigenen Fallbearbeitung
freizustellen, sowie für die standardisierte Teilnahme an
Führungskräftequalifizierungen und die Möglichkeit eines professionellen
Coachings für Teamleitungen.
Die soziale Arbeit im Allgemeinen und die Jugendämter im Besonderen sind
zunehmend vom Fachkräftemangel betroffen. In ländlichen Regionen wie unserer ist
der Fachkräftemangel zudem stärker zu spüren, als in urbanen Räumen. Durchsetzen
können sich langfristig nur Arbeitgeber*innen, die in Arbeitszufriedenheit und
persönliche Entwicklung der Mitarbeiter*innen investieren. Dazu gehört neben
regelmäßiger Fortbildung und Supervision vor allem eine gute Einarbeitung. Neben
einer guten pädagogischen Ausbildung benötigen die Mitarbeiter*innen im
Jugendamt fundierte Kenntnisse der allgemeinen Verwaltungsvorschriften, sowie
natürlich des SGB VIII und des Familienrechts. Erfahrungen im Kinderschutz
müssen zunächst aufgebaut und durch erfahrene Kräfte fachlich begleitet werden.
Die Einarbeitung dem Zufall zu überlassen, kann für die Biografien der
Adressat*innen weitreichende Konsequenzen haben. Stattdessen sollte strukturiert
vorgegangen und Einarbeitung zur Chef*innen-Sache erklärt werden. Dies ist
gleichzeitig Garant für mehr Qualität im Kinderschutz. Deshalb setzen wir uns
für die Erarbeitung eines Einarbeitungskonzeptes für neue Mitarbeiter*innen im
Jugendamt ein.
Öffentlicher Gesundheitsdienst
Gerade in der Pandemie-Situation hat sich gezeigt, wie wichtig ein breit
funktionsfähiger ÖGD ist. Wir setzen uns für eine Stärkung des ÖGD ein, um auch
jenseits von Krisenmanagement und -bewältigung für die Prävention und
Gesundheitsförderung tätig sein zu können. Er soll personell dauerhaft besser
ausgestattet werden. Für die Besetzung von Vakanzen sind kreative Lösungen
erforderlich. Insbesondere die guten Ansätze der Gesundheitsregion müssen
prioritär umgesetzt werden.