Veranstaltung: | Kreiswahlprogramm 2021 |
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Antragsteller*in: | Kreisvorstand (dort beschlossen am: 13.03.2021) |
Status: | Modifiziert übernommen |
Eingereicht: | 14.04.2021, 20:48 |
Antragshistorie: | Version 1 |
A11NEU2: Land- und Forstwirtschaft
Text
Den Dialog suchen – Chancen für die bäuerlichen Familienbetriebe
Nur wenige Bereiche in unsere Gesellschaft sind schon seit Jahren so
konfliktbeladen wie die zunehmend industrialisierte Landwirtschaft. Im Fokus
stehen oft die Landwirte und Landwirtinnen vor Ort; die wahren Verursacher der
fundamentalen Probleme der Landwirtschaft bleiben der breiten Öffentlichkeit
aber meist verborgen. Immer wieder berichten die Medien über tierquälerische
Missstände in einzelnen Betrieben.
Fast überall, wo große Viehhaltungs-Anlagen geplant werden, formiert sich
Widerstand in der örtlichen Bevölkerung. Die übermäßige Belastung des
oberflächennahen Grundwassers mit Nitrat – gerade in Niedersachsen – wird in
Kürze enorme Strafzahlungen an die EU nach sich ziehen. Schon vor einigen Jahren
konnte eindeutig nachgewiesen werden, dass der konventionell betriebene Ackerbau
mit immer größeren Feldern in einer immer mehr ausgeräumten Landschaft die
Hauptursache für das beängstigende Insektensterben und damit auch den
dramatischen Rückgang der Feldvögelpopulation ist. In 2019 begannen quer durch
die Republik die Bauernproteste gegen angeblich übermäßige Umweltauflagen, im
Wesentlichen ausgelöst durch die neue Dünge-Verordnung aber auch wohl unter dem
Eindruck der überwiegend negativen Berichterstattung. Wie schon seit über 10
Jahren immer im Januar fanden in Berlin anlässlich der dortigen Landwirtschafts-
und Ernährungsschau "Grüne Woche" regelmäßig Gegenveranstaltungen statt, wie
z.B. die alljährliche Groß-Demonstration unter dem Motto "Wir haben es satt".
Schließlich änderte in 2020 ein Teil der Landwirte und Landwirtinnen die
Richtung ihrer Proteste, indem sie mehrfach Auslieferungslager von Aldi und Lidl
blockierten und damit gegen die ständige existenzvernichtende Preisdrückerei bei
Milchprodukten und anderen landwirtschaftlichen Produkten protestierten. Im
Gegensatz zu den Demos in 2019 konnten sie in diese Fall auch viele zustimmende
Reaktionen in der Öffentlichkeit auslösen.
Aufgrund der Tatsache, dass die Landwirtschaft in vielen Gemeinden des
Landkreises Hameln-Pyrmont eine große Bedeutung hat für die örtliche Wirtschaft,
für die Landschaft und die Natur und für die Chance, immer mehr regionale
Lebensmittel in Direktvermakrtung und ohne lange Fahrstrecken bei uns im
Landkreis zur Verfügung zu stellen, plädieren wir dringend für die Einrichtung
eines Dialogforums unter Einbeziehung aller gesellschaftlicher Kräfte.
Erstes Ziel ist zunächst die Überwindung bisher scheinbar unüberbrückbarer
Differenzen, indem auf allen Seiten ein Verständnis für die Positionen der
jeweiligen "Gegenseite" geweckt wird auf der Basis wissenschaftlicher
Erkenntnisse. Dann geht es um die Begleitung der Übertragung des sog.
Niedersächsischen Weges in die landwirtschaftliche und naturschutzorientierte
Praxis. Darüber hinaus sollen aber vor allem die Möglichkeiten zur
Stabilisierung der landwirtschaftlichen Einkommen durch Erzeugung und
Vermarktung regionaler Lebensmittel erörtert werden. Dabei wird es u.a. auch um
den Aufbau von örtlichen Vertriebsstrukturen gehen, wie z.B. gemeinschaftlich
geführte Dorfläden.
Ein Ziel einer grünen Landwirtschaftspolitik bleibt die Ausweitung der
ökologischen Landwirtschaft und die Verbesserung der Absatzmöglichkeiten ihrer
Produkte. Wir wollen auch eine artgerechtere Tierhaltung fördern, wobei der
Neuland-Standard ein erster Maßstab sein könnte. Mit einer an das Gelände
angepassten Linienführung (Keyline Design) zur Verstärkung der Tiefensickerung
kann Dürren und Erosion vorgebeugt werden und ebenfalls ein großer Beitrag zum
Humusaufbau geleistet werden. Die Einrichtung von Blühstreifen und artenreichen
Feldgehölzen wie Hecken mit ungenutzten Ruderalstreifen zur Biotopvernetzung
kann die verlorengegangene Biodiversität stabilisieren und z.T. wieder erhöhen.
Wir setzen uns dafür ein, dass für einzelne Investitionen auch kommunale
Wirtschaftsförderungsmittel bereitgestellt werden.
Schließlich sollen der Landkreis und die Kommunen auch in Bildung bzw.
Fortbildung investieren. Schon an den Grundschulen müssen Themen aus dem Bereich
Landwirtschaft und Ernährung den Kindern auf sehr praktische Weise nahegebracht
werden. Nicht zuletzt wären das auch Themen für die Erwachsenen-Bildung und für
die Weiterbildung von Verwaltungsmitarbeiter*innen. In Schulen und Kantinen
sollen möglichst viele der verwendeten Lebensmittel aus der Region stammen,
bevorzugt aus dem Ökolandbau.
Anpassung an den Klimawandel – Alarmstufe Rot für unsere Wälder
Stürme, Hitze, Borkenkäfer: Die meisten Wälder sind im Klimastress. Mehrere
Dürrejahre in Folge führten zu massiven Schäden. Betroffen waren zunächst
insbesondere Fichtenforste, doch die anhaltende Trockenheit setzt auch anderen
Baumarten wie der heimischen Buche zu. Die Schäden sind regional sehr
unterschiedlich, je nach Standort und Bodenverhältnissen. Ursache der massiven
Schäden ist jedoch nicht allein der Klimawandel. Das Öko-System Wald ist durch
die industrielle Forstwirtschaft, insbesondere Monokulturen, Bodenverdichtung
und das Anpflanzen nicht heimischer bzw. nicht standortgerechter Baumarten
anfälliger gegenüber Schädlingsbefall.
Wälder sind unersetzlich als Wasserspeicher, Luftfilter und Lebensraum für
zahlreiche Tiere und Pflanzen. Wälder sind zudem enorme Kohlenstoffspeicher, die
CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen und im Holz bzw. im Humus binden. Insbesondere
reine industriell bewirtschaftete Nadelholzforste sind jedoch anfällig für
Wetterextreme und Schädlingsbefall. Ein Umbau zu naturnahem und
standortgerechtem Mischwald ist somit dringend geboten, um robuste und
artenreiche Wälder zu erhalten. Zum Schutz und Erhalt unserer Waldökosysteme
müssen bei diesem Umbau zumindest in Europa heimische Laubbäume die zentrale
Rolle spielen. Variationen heimischer Arten aus anderen klimatischen Regionen
Europas können Chancen für den Waldumbau bieten.
Unsere Buchenwälder sind aber auch in den Schutzgebieten vielfach in einem
schlechten Erhaltungszustand. Insbesondere die intensive Auflichtung der
Buchenwälder durch Rückegassen und übermäßige Einschläge ohne ausreichende
Erhaltung von Alt- und Totholz sowie Habitatbäumen, die damit einhergehende
Beeinträchtigung durch standortfremde Baumarten und die Bodenverdichtung durch
das Befahren mit schweren forstwirtschaftlichen Maschinen macht unseren
Buchenwäldern zu schaffen. Bündnis 90/Die Grünen werden sich dafür einsetzen,
dass wenigstens in den geschützten Buchenwäldern naturnahe und strukturreiche
Baumbestände unterschiedlicher Altersklassen entstehen oder erhalten werden. Nur
in wenigen ausgewiesenen Naturwaldentwicklungsflächen sind unsere Wälder
wirklich geschützt.Da in allen anderen Schutzgebieten die forstwirtschaftliche
Nutzung weiterhin gestattet ist, muss diese an strengere Regeln gebunden werden.
Dazu gehört eine konsequente Dauerwaldwirtschaft, die Förderung der
Naturverjüngung durch die Festlegung von jährlichen Wild-Abschussquoten anhand
von Vegetationsgutachten, das Verbot von Bleigeschossen bei der Jagd, sowie die
Reduktion von Durchforstungen auf Zeiträume von 15-20 Jahren, damit
lebensraumprägende Waldstrukturen die Chance haben, sich zu erholen.
Die forstwirtschaftliche Waldnutzung muss grundsätzlich dem Leitbild der
natürlichen Struktur ursprünglicher Wälder folgen. Dazu ist es notwendig pro
Hektar 50% des natürlichen Totholzanteils eines vergleichbaren Urwaldgebietes
vorzuhalten. Daraus folgt, dass wenigstens jeder zehnte Baum natürlich altern
und absterben können sollte. Bestimmte Waldzonen sollten von Durchforstungen
vollständig ausgenommen werden, um dauerhaften Rückzugsraum für viele Arten zu
bieten. Die für die Artenvielfalt wertvollen Waldränder mit (Beeren-)Sträuchern,
Unterholz, Gestrüpp und Efeubewuchs sollten nicht gelichtet sondern erhalten
werden. Sie bieten nicht nur freibrütenden Vögeln und Kleinsäugern Schutz und
Nahrung, sie schützen auch den Wald vor Austrocknung und Windwurf - eine
Funktion, die in Zeiten des Klimawandels immer größere Bedeutung erlangt. Wo
Waldsäume fehlen, setzen wir uns für ihre Wiederherstellung ein.
Wir beziehen uns bei den oben genannten Maßnahmen auf das niedersächsische LÖWE-
Programm zur langfristigen ökologischen Waldentwicklung, dessen Umsetzung im
Niedersächsischen Weg nochmal eine besondere Betonung erfährt. Darüber hinaus
beziehen wir uns auf die vom Landkreis Hameln-Pyrmont erarbeiteten
Maßnahmenpläne für die hiesigen FFH-Gebiete, deren Umsetzung wir vorbehaltlos
unterstützen werden.
Die Anpflanzung von Douglasien lehnen wir grundsätzlich ab. Diese Baumart ist
nicht an die heimischen Waldökosysteme angepasst, so dass es zu einem massiven
Aussterben der etablierten Arten in solchen Neuanpflanzungen kommt. Zudem ist
die Grundwasserbildung unter Douglasienforsten um bis zu 40 % geringer als im
Buchenwald. Das Landesprogramm LÖWE gibt als Richtlinie ausdrücklich den Schutz
des Waldbodens vor. Wir fordern deshalb zumindest für die öffentlichen Wälder
die Holzernte auf bodenschonende Verfahren umzustellen. Die Zerstörung des
Waldbodens, insbesondere durch Rückegassen, soll grundsätzlich ausgeschlossen
werden.