Veranstaltung: | Kreiswahlprogramm 2021 |
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Antragsteller*in: | Kreisvorstand (dort beschlossen am: 13.03.2021) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 12.04.2021, 19:27 |
Antragshistorie: | Version 1 |
A12NEU3: Kreislaufwirtschaft
Text
Reparieren, Teilen, Wiederverwenden – von der Abfall- zur Kreislaufwirtschaft
Alles zusammengerechnet "produzieren" die Menschen in Deutschland jedes Jahr
über
600 kg Abfall pro Kopf; der Anteil der von örtlichen Unternehmen eingesammelten
Haushaltsabfälle liegt bei etwa 90 kg/Kopf und Jahr. Das meiste davon wird
irgendwie "verwertet", wobei sogar die Müllverbrennung als „thermisches
Verwertungsverfahren“ bezeichnet werden darf.
In Wirklichkeit "leisten" wir uns Rohstoffverschwendung in einem gigantischen
Ausmaß, das nur noch von wenigen Ländern der Welt übertroffen wird. Da bei der
Herstellung und beim Transport all dieser weggeworfenen Konsum-Güter jede Menge
Energie benötigt wurde, hat diese Form der Abfallproduktion und
Materialentwertung auch einen negativen Einfluss auf das Klima.
Viel besser wäre es, wenn all die Waren und Materialien, die wir für unser Leben
benötigen, wesentlich länger genutzt werden könnten und auch würden. Zudem
sollten wir auf vieles eigentlich Überflüssige verzichten. Alle Menschen können
ihr Leben mehr oder weniger schnell auf ihr persönliches Höchstmaß an
Abfallvermeidung umstellen.
Einige Beispiele:
· Waren möglichst unverpackt kaufen (spezielle "Unverpackt-Läden" sollten vom LK
gefördert werden).
· In Gebrauchtwaren-Märkten kann von elektrischen Geräten und Bekleidung bis hin
zu Möbeln Vieles erworben werden, wodurch Neuanschaffungen zunehmend seltener
nötig sind (auch diese Läden bedürfen einer Förderung und ggf.
Anschubfinanzierung).
· Ähnliches leisten digitale Tauschbörsen; einige dieser Art gibt es schon im
Netz; eine weitere kann für die Region Weserbergland geschaffen werden.
· Auch Reparatur-Werkstätten sollten in jeder Kommune eingerichtet werden.
· Auf der anderen Seite könnten Kommunen eine Abgabe auf To-Go-Lebensmittel
erheben, soweit nicht mittlerweile schon eine Pflicht zu Mehrwegverpackungen bei
solchen Lebensmittel-Abgaben besteht.
· Ebenfalls digital unterstützt lassen sich Sharing-Projekte ins Leben rufen:
hierbei werden Gebrauchsgegenstände zwischen Privatpersonen ausgeliehen bzw.
geteilt (PKWs, Elektrogeräte, spezielle Werkzeuge, etc.)
Die Förderung bzw. die eigenbetriebliche Organisation solcher und anderer
Abfallvermeidungsprojekte muss aktiver Bestandteil der Kreispolitik und -
verwaltung werden. Insbesondere muss im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit des
Eigenbetriebs "Abfallwirtschaft" die allgemeine Abfallvermeidung unter Benennung
konkreter Projekte eine größere Rolle spielen. Selbstverständlich muss die
Kreisverwaltung mit gutem Beispiel vorangehen.
Die gesetzlich vorgegebene sog. Abfallverwertungs-Hierarchie steht bei uns - wie
auch bei den meisten anderen Landkreisen und Städten - überwiegend nur auf dem
Papier.
Im Einzelnen besteht diese "Hierarchie" aus den folgenden Stufen:
1. Wiederverwendung des Gegenstandes, ggf. nach Reparatur und Überprüfung der
sicheren Funktionsfähigkeit;
2. Demontage des Gegenstandes und Weiternutzung der (meisten) Einzelteile in
ihrer ursprünglichen Funktion;
3. Weiternutzung von Einzelteilen in anderer Funktion, z.B. Fertigung von
Regalbrettern aus ehemaligen Möbeln;
4. Werkstoffliche Nutzung nach Separierung der verschiedenen Stoffe, z.B.
Einschmelzen von sortenreinen Metallen oder Herstellung von Toilettenpapieren
aus Altpapier;
5. Energetische Nutzung von brennbaren Stoffen;
6. (Mit)-Verbrennung von gemischten Abfällen, die auch nichtbrennbare Anteile
enthalten;
7. Verwendung von schadstoffarmen Verbrennungsresten im Straßenbau etc.;
8. Sondermüll-Verbrennung von schadstoffhaltigen Abfällen;
9. Deponierung von schadstoffhaltigen Verbrennungsresten in sicheren Deponien,
ggf. unter Tage.
Bisher liegt der Schwerpunkt der Tätigkeiten unserer Kreisabfallwirtschaft auf
der Sammlung von Abfällen und einzelnen Wertstofffraktionen. Wir plädieren für
eine deutliche Ausweitung ihrer Wertstoff-bezogenen Tätigkeiten, so dass sich
die bisherige Abfallwirtschaft nach und nach zu einer Kreislaufwirtschaft
entwickelt. Die KAW sollte angelieferte noch nutzbare Haushaltsgegenstände,
Bücher und Möbel zu festen Öffungszeiten gegen eine geringe Gebühr direkt zur
Abholung weitergeben. Auf der Ebene der zweiten Stufe sollte die
Kreisabfallwirtschaft ebenfalls stärker tätig werden. Schon bisher wird der
Sperrmüll grob getrennt eingesammelt. Hier wären weitergehende Sortierungs- und
Demontageschritte möglich, wobei sich z.T. auch die Vermarktungsmöglichkeiten
auf der dritten und vierten Stufe erhöhen würden.
Perspektivisch müssten im Landkreis Hameln-Pyrmont mehrere dezentrale
Wertstoffhöfe errichtet und die Wertstofftonne eingeführt werden, um größere
Mengen von stofflich recyclingfähigen Gegenständen zu erfassen und in einer
eigenen Anlage zu verarbeiten.
Ein wesentlicher Fortschritt auf den kombinierten Stufen vier und fünf stellt
die Verarbeitung von Resthölzern und anderem organischen Material zu Bio-
Pflanzenkohle und danach zu Terra Preta dar. Auch in diesem Fall sollte die
Kreisabfallwirtschaft mindestens als Kooperationspartner aktiv an einem Projekt
mitarbeiten, das nicht nur dem stofflichen Recycling dient, sondern insbesondere
durch Festlegung von Kohlenstoff auch dem Klimaschutz.
Beispielhaft sei hier das Projekt „Landwirtschaft regenerativ“ des Fördervereins
Terra Preta Weserbergland e.V. genannt:
· Durch das Aufbringen von Pflanzenkohle-Kompost, bekannt als Terra Preta, will
das Projekt den Humusaufbau in Landwirtschaft und Gartenbau unterstützen und
stabilisieren. Ziel ist es, den durchschnittlichen Humusgehalt auf mindestens
5,5 Prozent zu steigern – da beginnt die Selbstorganisation der Bodenlebewesen.
Erträge können so gesteigert werden. Weitere Effekte sind die Steigerung der
Biodiversität und die CO2-Sequestrierung
· Als Ausgangsmaterial will das Projekt die 30.000 t Grünschnitt und
Landschaftspflegematerial verwenden, die in unserem Landkreis jährlich anfallen.
Das Holzige wird zu Pflanzenkohle, der weiche Anteil wird mit der Pflanzenkohle
gemischt und dann fermentiert und möglichst preiswert an Landwirte, Gärtner und
Kleingärtner abgegeben. Dafür soll die Organisationsform einer Genossenschaft
dienen.
· Der durch die Anwendung von Terrra Preta Kompost entstehende
Produktivitätszuwachs soll Raum schaffen für die Anlage von
Gewässerrandstreifen, Ackerrandstreifen und Blühstreifen. Hinzu kommen Keylines
– Gehölzstreifen entlang der Höhenlinien, die das Wasser im Feld halten. Diese
Streifen haben eine Mehrfachfunktion: Biotopbildung und Biotopvernetzung,
Gewässerschutz, Erosionsschutz, Speicherung von Wasser, Biodiversitätsspeicher.
· Parallel soll eine Permakultur-Gärtnerei nach dem Muster der französischen
Farm Bec Hellouin aufgebaut werden. Hier soll das Pflanzenkohlesubstrat
beispielhaft zur Anwendung kommen, gehandicapte Menschen sollen einen
Arbeitsplatz finden, ein Informations- und Tagungszentrum soll angegliedert
sein.
Dem Klimaschutz dient im Übrigen auch jedes Wertstoff-Recycling, das zu einer
Reduzierung der sog. thermischen Verwertung beiträgt. Für das Erreichen der
Klimaziele aus dem Paris-Abkommen ist es absolut notwendig, neben dem Stopp der
Verbrennung von fossilen Energieträgern auch möglichst viel biogenen Kohlenstoff
im Stoffkreislauf zu halten bzw. ihn letztlich z.B. in fruchtbaren Böden
anzureichern.
Selbst die Chemische Industrie kann zum Klimaschutz beitragen, indem sie - als
Ersatz für Erdöl und Erdgas - verschiedenste biogene Stoffe zersetzt und die
Pyrolyse-Produkte zur Herstellung von Chemikalien, Pharmazeutika und Polymeren
nutzt.
[1] https://www.bne-portal.de/de/was-ist-bne-1713.html
[2] https://www.regionalbewegung.de/landesverbaende/niedersachsen/ziele/