Veranstaltung: | Kreiswahlprogramm 2021 |
---|---|
Antragsteller*in: | Kreisvorstand (dort beschlossen am: 13.03.2021) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 12.04.2021, 18:51 |
Antragshistorie: | Version 1 |
A4NEU: Atomkraft
Text
Verantwortung für die Ewigkeit - Das atomare Erbe verwalten
Nach mehr als 45 Jahren Widerstand geht das AKW Grohnde Ende 2021 endlich vom
Netz. Für uns ist das ein Grund zum Feiern, denn wir haben uns von Anfang an
gegen die Nutzung von atomarer Energie zur Stromgewinnung eingesetzt. Zu
unüberschaubar waren die Risiken. Die Atomkatastrophen in Harrisburg,
Tschernobyl und Fukushima haben uns leider Recht gegeben. Doch damit nicht
genug, ist die Endlagerfrage bis heute ungelöst.
Mit dem Rückbau des AKW Grohnde und vieler anderer AKWs in ganz Deutschland,
steht die Endlagerfrage jetzt auch vor unserer Haustür. Das Zwischenlager am
AKW-Standort in Grohnde wird uns noch viele Jahrzehnte erhalten bleiben, um die
hochradioaktiven Abfälle in Castoren so lange zu lagern, bis irgendwo in
Deutschland ein Endlager gefunden und hergerichtet wurde, das den
Ewigkeitsanforderungen am wenigsten schlecht genügt.
Doch auch der Umgang mit den schwach- bis mittelradioaktiven Abfällen und den
freigemessenen Abfällen, die beim Rückbau des AKW Grohnde anfallen werden, muss
uns in den nächsten Jahrzehnten politisch beschäftigen. Deshalb haben wir eine
Begleitkommission gegründet, die sich aus politischen Vertreter*innen des
Kreistages, der Kreisverwaltung, Vertreter*innen der Zivilgesellschaft und dem
Kraftwerksbetreiber zusammensetzt. Wesentliches Ziel der Begleitkommission ist
die Beteiligung der interessierten Öffentlichkeit, Initiativen und Verbänden an
den Rückbauplänen und Fortschritten, sowie den sich daraus ergebenden
Konsequenzen für die Öffentlichkeit. Die Begleitkommission soll sich erst wieder
auflösen, wenn der Rückbau vollständig abgeschlossen ist.
Die bisherigen Rückbaupläne sehen die Verbringung der schwach- bis
mittelradioaktiven Abfälle in das, von Anti-Atom-Initiativen immer als
ungeeignet angesehene Erzbergwerk Schacht Konrad vor. Dies lehnen wir ab. Wir
sind der Meinung, dass auch für die Endlagerung dieser radioaktiven Abfallarten
ein bundesweites, wissenschaftsbasiertes und ergebnisoffenes Suchverfahren
gestartet werden muss.
Daran schließt sich unmittelbar die Frage nach einem Zwischenlager für schwach-
bis mittelradioaktive Abfälle an. Die Pläne der Bundesregierung sehen vor, in
unserem Nachbarlandkreis Höxter, in Würgassen, ein Bereitstellungslager für
diese Abfallarten einzurichten. Das würde bedeuten, dass aus ganz Deutschland
auch durch den Landkreis Hameln-Pyrmont, schwach- bis mittelradioaktive Abfälle
über schlecht ausgebaute Straßen an einen völlig ungeeigneten Standort im
Überschwemmungsgebiet der Weser transportiert würden. Dabei muss man sich klar
machen, dass jeder Transport für die Bevölkerung ein zusätzliches
Gefährdungsrisiko birgt. Wir lehnen auch diesen Wahnsinn ab.
Völlig ungeklärt ist bislang, was mit den freigemessenen Abfallarten aus dem
Rückbau des AKW Grohnde passieren soll. Dabei handelt es sich um Abfallarten,
deren Strahlungsdosis rein rechnerisch 10 Mikrosievert pro Jahr und pro Person
voraussichtlich nicht übersteigen darf.
Diese Abfälle werden bundesweit in DK1-Deponien verbracht, wie sie derzeit im
stillgelegten Steinbruch Bisperode im Ith geplant wird. Befürworter*innen dieses
Vorgehens argumentieren, dass die Umgebungsstrahlung 10 Mikrosievert pro Jahr
und pro Person weit überschreitet, es sich hierbei also um eine
vernachlässigbare und gesundheitlich unbedenkliche Strahlungsdosis handele. Wir
halten diese Argumentation für falsch.
Die heutige Umgebungsstrahlung setzt sich bereits aus der natürlichen Strahlung,
die in vielen Gesteinsarten vorkommt und der menschengemachten künstlichen
Strahlung zusammen, die durch die zivile und militärische Nutzung von atomarer
Energie zum Beispiel im medizinischen Bereich, zur Energiegewinnung, durch
Atomkatastrophen oder Forschung an und Einsatz von Atombomben entstanden ist.
Diese künstliche Strahlung hat bereits zu einer Zunahme von Schilddrüsen-, Herz-
Kreislauf- und Tumor-Erkrankungen in den letzten Jahrzehnten geführt. Deshalb
warnen beispielsweise die „Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges“ (IPPNW)
vor dem sorglosen Umgang mit freigemessenen Abfällen aus Atomkraftwerken und
ihrer Entlassung aus dem Atomrecht. Sie erhöhen die künstliche
Umgebungsstrahlung zusätzlich und setzen die Anwohner*innen von solchen Deponien
täglich und rund um die Uhr einer erhöhten Umgebungsstrahlung aus.
Im Rahmen der geschaffenen Gremien und unserer politischen Einflussmöglichkeiten
auf den verschiedenen politischen Ebenen wollen wir uns als Kreisverband dafür
einsetzen, von diesem Prinzip abzusehen. Wir unterstützen die Forderung der
Atommüllkonferenz – einem Zusammenschluss von Anti-Atombewegungen – für alle
Abfallarten sichere Endlager zu finden und die Abfälle so lange sicher und
rückholbar am Standort zu belassen.
Mit dem Standortauswahlgesetz wurde ein Endlagersuchprozess für hochradioaktive
Abfälle in Gang gebracht, der eine breite Öffentlichkeitsbeteiligung vorsieht.
Die BGE hat 2020 den ersten Teilgebiete-Bericht vorgelegt und in einer
bundesweiten Online-Konferenz über zwei Tage vorgestellt. 80% der
niedersächsischen Landesfläche sind demnach weiterhin im Suchverfahren. Auch die
gesamte Fläche des Landkreises Hameln-Pyrmont ist weiterhin Suchgebiet.
Wir sind der Meinung, dies ist Grund genug, sich intensiv mit der Thematik zu
beschäftigen. Natürlich stehen wir hinter dem Beschluss, ergebnisoffen nach dem
bestmöglichen – oder auch am wenigsten schlechten - Standort für ein atomares
Endlager zu suchen. Wir sind realistisch genug um anzuerkennen, dass es nun
einmal eine Lösung für die Endlagerfrage geben muss. Letztlich ist der Umstand,
dass es einen solchen Suchprozess überhaupt gibt, starker GRÜNER Politik zu
verdanken. Wenn es also das Ergebnis dieses Suchprozesses sein sollte, dass der
am wenigsten schlechte Standort für ein atomares Endlager in unserem Landkreis
liegt, dann sind wir auch bereit, dies zu akzeptieren. Sollte es jedoch auch nur
den Hauch eines Zweifels geben, dass dieser Standort anders als nach
wissenschaftlichen Kriterien und anders als auf dem neuesten Stand von Forschung
und Technik festgelegt wurde, werden wir unsere politischen Mittel nutzen, um
den Standort zu verhindern.
Damit Zweifel von Anfang an angemessen berücksichtigt werden können, sind
Transparenz und Öffentlichkeitsbeteiligung Grundvoraussetzung. Die ersten
Erfahrungen mit der Teilgebietekonferenz zeigen jedoch, dass längst nicht
transparent gemacht wird, welche konkreten Daten der Bundesgesellschaft für
Endlagerung (BGE) als wissenschaftliche Grundlage zur Verfügung stehen. Das ist
dem Umstand zu „verdanken“, dass nicht alle Daten aus öffentlichen Quellen
stammen, sondern auch auf privatwirtschaftliche Daten zurückgegriffen wird.
Ehrenamtliche, Kommunen und andere Interessierte haben aber keine Chance,
Festlegungen nachzuvollziehen, wenn sie nicht auf dieselben Daten zurückgreifen
können, wie das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE).
Wir werden uns in den politischen Gremien auf den verschiedenen Ebenen dafür
einsetzen, dass an dieser Stelle nachgebessert wird. In jedem Fall ist aber die
Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der BASE sehr wissenschaftslastig und für
Laien, sowie für Hauptamtliche in den Kommunen, die dies neben ihrer
eigentlichen Arbeit bewältigen sollen, nur schwer zu durchdringen. Die Kommunen
und Ehrenamtlichen brauchen hier eigene wissenschaftliche Expertise.
Wir wollen dem Beispiel der bayerischen Landkreise folgen, die in Wunsiedel eine
landkreisübergreifende gemeinsame Geschäftsstelle eingerichtet haben, deren Ziel
es ist, Politik und Wissenschaftler*innen mit Fachwissen zu versorgen und in der
Kommunikation nach außen klar und sachlich aufzutreten.“